Zur Geschichte der Psychoanalytischen Pädagogik
„Von allen Anwendungen der Psychoanalyse hat keine so viel Interesse gefunden, so viel Hoffnungen geweckt und demzufolge so viele tüchtige Mitarbeiter herangezogen wie die auf die Theorie und Praxis der Kindererziehung.“ (Sigmund Freud, 1925)
Diese Feststellung traf Sigmund Freud im Vorwort zu einem der bekanntesten Werke der frühen psychoanalytischen Pädagogik, August Aichhorns Buch „Verwahrloste Jugend“.
Bereits in den 1920er-Jahren bemühten sich SchülerInnen Freuds, den Wissensschatz der Psychoanalyse über die Entwicklung des Kindes und die Bedeutung unbewusster Seelenvorgänge für die Pädagogik nutzbar zu machen. Zunächst waren es praktizierende PsychoanalytikerInnen, die sich mit pädagogischen Fragestellungen befassten, doch bald beteiligten sich LehrerInnen, ErzieherInnen und andere PädagogInnen, um die pädagogische Praxis in Kindergarten, Schule und Heimerziehung u.a. durch die Psychoanalyse zu verbessern. Zu den PionierInnen der „klassischen“ psychoanalytischen Pädagogik zählen neben vielen anderen August Aichhorn, Siegfried Bernfeld, Bruno Bettelheim, Anna Freud, Wilhelm Hoffer, Nelly Wolffheim, Heinrich Meng, Fritz Redl und Hans Zulliger. Diese rege Gründungsperiode der psychoanalytischen Pädagogik hatte ihr geistiges Zentrum im „Roten Wien“ der Zwischenkriegszeit. Auch VertreterInnen der Individualpsychologie Alfred Adlers trugen zur Weiterentwicklung v.a. im Bereich der Schule und der Erziehungsberatung bei. Diese „Blütezeit“ fand mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten und der Vertreibung der Psychoanalyse ein jähes Ende. Zwar konnte sie nach dem Zweiten Weltkrieg in Österreich und Deutschland wieder Fuß fassen, doch konzentrierte sie sich nunmehr auf klinisch-psychotherapeutische Fragestellungen.
Im Rahmen der Studentenbewegung und der antiautoritären Pädagogik wurden in den 1960er- und 1970er-Jahren einige VertreterInnen der psychoanalytischen Pädagogik „wiederentdeckt“, um die Forderung nach einer freieren Erziehung zu untermauern.
Erst in den 1980er-Jahren kam es zu einer Renaissance, als die psychoanalytische Pädagogik an einigen Universitäten im deutschsprachigen Raum wieder Fuß fassen konnte. Die Deutsche Gesellschaft für Erziehungswissenschaft (DGfE), die Dachorganisation deutschsprachiger Erziehungswissenschaften, gründete die „Kommission Psychoanalytische Pädagogik“, in welcher an Universitäten lehrende und an der Psychoanalyse interessierte PädagogInnen und pädagogisch engagierte PsychoanalytikerInnen ein Forum für den Austausch von Theorien. und Praxisprojekten fanden. In Wien wurde das Interfakultäre Institut für Sonder- und Heilpädagogik zu einem neuen Zentrum psychoanalytisch-pädagogischer Lehre und Forschung. Ebenfalls in Wien etablierte sich in Kooperation zwischen der Universität Wien und der Sigmund-Freud-Gesellschaft ein postgradualer Ausbildungslehrgang „Psychoanalytisch-pädagogische Erziehungsberatung“. In Frankfurt entstand der „Frankfurter Arbeitskreis für Psychoanalytische Pädagogik“, der sich der psychoanalytisch orientierten Fortbildung von BerufspädagogInnen widmete. Zahlreiche Publikationen erschienen und neue Publikationsorgane (z.B. das seit 1991 erscheinende „Jahrbuch für psychoanalytische Pädagogik“) wurden ins Leben gerufen.